
Sprache & Glossar
Sprache als Werkzeug für Aufklärung, Wissenschaft und Einstellungen
Sprache schafft Ideen und Meinungen! Umso wichtiger ist es, stigmatisierende Begriffe aus der Suchthilfe und für Menschen, die psychoaktive Substanzen konsumieren und vielleicht auch von Abhängigkeitserkrankungen (mit-) betroffen sind, zu hinterfragen und zu verändern. Auch bei INDICA vermitteln wird durch unsere Sprache unsere Einstellungen, Überzeugungen und Werte. Dazu auch dieses Glossar.

Warum INDICA auf bestimmte Begriffe setzt, um durch Sprache eine differenziertere Sichtweisen zu schaffen – und wir manche Begriffe neu denken, neu (be)setzen & andere bewusst meiden.
Weil Sprache ein zentrales Werkzeug zur Vermittlung und zum Verständnis von Wissen ist, legt INDICA großen Wert auf die sorgfältige Wahl von Begriffen, gerade zu den Themen rund um Cannabis. Fast ein Jahrhundert wurde die Hanfpflanze (Cannabis sativa l.) als Ganzes abgewertet, insbesondere aber ihre Nutzung im Freizeitbereich und zum Genuss. Ein Bündel von Begriffen, das zur Beschreibung der Pflanze, ihrer Nutzungen und der Menschen, die mit ihr umgehen, verwendet wird, trägt bis heute dazu bei, Stigmatisierungen und Herabwürdigungen aufrechtzuerhalten. Deshalb ist es uns wichtig, neue Begriffe zu finden und klare Definitionen zu formulieren, mit denen Alltagsphänomene rund um Cannabis unvoreingenommen und präzise beschrieben werden können.
Das Überdenken und Vermeiden alter Begriffe ist zudem notwendig, um Missverständnisse zu vermeiden, veraltete oder ungenaue Konzepte abzulegen und Inklusivität für alle sicherzustellen, die mit Cannabis umgehen. Dies ist speziell für den Ansatz von Bürgerforschung (Citizen Science) von zentraler Bedeutung. Immerhin geht es darum, alle Beteiligten in den Diskurs einzubeziehen und hierdurch den bei INDICA angesprochenen Themen mehr Relevanz zuzusprechen.
Begriffsbestimmungen bei INDICA
Gerade im Zusammenhang mit Cannabis und den vielseitigen Verwendungen von rauschfähigen und nicht rauschfähigen Cannabinoiden im Alltag liegt der gesellschaftliche Fokus häufig einseitig auf problematischen Konsummustern, entmündigendem Konsum oder dem Thema Abhängigkeit. Dabei bleibt oft unbeachtet, dass die realen Nutzungsformen weit darüber hinausgehen – etwa in medizinischen, sozialen oder rituellen Kontexten. Die sprachliche Taxonomie ist in diesem Feld zugleich unscharf und vermischt medizinische, moralische und juristische Perspektiven. Um diesen Unklarheiten entgegenzuwirken, braucht es eine differenzierte Begriffswelt. Das folgende Glossar soll daher Begriffe klären, die wir bei INDICA verwenden, um Alternativen aufzuzeigen und zu einem vorurteilsfreien und reflektierten Sprachgebrauch beizutragen.
Psychoaktive Substanz anstatt Droge

Das Wort »Droge« stammt ursprünglich vom niederländischen »droog« (trocken) ab und bezog sich im Mittelalter auf getrocknete Pflanzenteile, die als Heilmittel dienten. Erst später erhielt der Begriff eine negative Konnotation im Zusammenhang mit Sucht und illegalisierten Substanzen. Heute ist »Droge« vielfach ein Kampfbegriff, der eher moralisch als sachlich eingesetzt wird, und damit für viele Diskussionen ein Hindernis darstellt. Der Begriff »Droge« erzeugt im Deutschen häufig negative Vorurteile, weil der Konsum psychoaktiver Substanzen als problematisch wahrgenommen wird. Diese umfasst Assoziationen mit Illegalität und Verbot, Abhängigkeit, gesundheitliche Schäden sowie Kriminalität, Armut und soziale Ausgrenzung. Im Gegensatz dazu beschreibt der Begriff »psychoaktive Substanz« eine rein pharmakologische Feststellung und vermittelt dadurch eine eher neutrale Bewertung.
Eine Substanz wird als psychoaktiv bezeichnet, wenn sie auf das zentrale Nervensystem wirkt und dadurch das Denken, Fühlen, Wahrnehmen oder Verhalten beeinflusst. Dabei kann es sich um legale Substanzen (z. B. Alkohol, Koffein, Nikotin etc.), Medikamente oder auch Cannabisprodukte mit THC handeln. Der Begriff beschreibt eine pharmakologische Eigenschaft, nicht den gesellschaftlichen Status der Substanz. In der medizinischen Praxis wird der durch psychoaktive Substanzen ausgelöste Rauschzustand weiterhin häufig als auch Nebenwirkung bewertet. Diese Sichtweise ignoriert oftmals die differenzierten Funktionen solcher Zustände für das subjektive Erleben der Menschen als auch die vielseitigen Wirkungsaspekte in der Interaktion mit den einzelnen Personen. Cannabis enthält darüber hinaus weitere Cannabinoide wie CBD (Cannabidiol) oder CBG (Cannabigerol), die nicht berauschend wirken, aber dennoch eine pharmakologische Relevanz besitzen. Auch diese Substanzen finden zunehmenden Eingang und Beachtung in medizinischen Diskussionen und alltäglichen Anwendungsformen.
INDICA setzt genau hier an – das Projekt will verstehen, wie Menschen psychoaktive Erfahrungen im Alltag erfragen, verstehen, einordnen, nutzen, bewerten und kommunizieren – jenseits vereinfachter, rein pharmakologischer oder stigmatisierender Perspektiven oder Indikatoren.
Die Krux mit dem Begriff »Drogenkonsum«

Das Problem mit dem Begriff »Drogenkonsum« ist, dass es keinen allgemein geteilten Konsens darüber gibt, was dieser Begriff genau umfasst. Oft wird damit der Konsum psychoaktiver Substanzen bezeichnet, die das zentrale Nervensystem beeinflussen können.
Der Begriff ist jedoch sehr unscharf, weil er sich
Bei INDICA wird daher auf den Begriff »Drogenkonsum« weitgehend verzichtet und stattdessen der Begriff »Cannabiskonsum« verwendet. Alternativ sprechen wir an manchen Stellen auch von Cannabisgebrauch oder Cannabisverwendung, je nach Kontext der Cannabiserfahrung. Der Begriff »Cannabiskonsum« räumt zwar nicht alle Unklarheiten aus, präzisiert aber zumindest mit dem Hinweis auf die Art der psychoaktiven Substanz.
Cannabiskonsum anstatt »Kiffen«

Der Begriff »Cannabiskonsum« ist im Vergleich zu »Kiffen« eher neutral und umfassend formuliert und wird oft in formellen oder wissenschaftlichen Kontexten gebraucht. Deshalb wird er auch bei INDICA verwendet. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf dem sachlichen Aspekt des Konsums der Substanz, der sowohl positive als auch negative Aspekte der Nutzung beschreiben kann. Er enthält keine Bewertung zum Konsum selbst. Je nach Kontext und Perspektive des Moduls kann es sich bei dem Begriff dabei z. B. um die medizinische Nutzung, um rechtliche Aspekte oder mögliche soziale oder gesundheitliche Risiken und Vorteile handeln.
Der Begriff »Kiffen« wird auf INDICA bewusst nicht verwendet, da er im Deutschen mehrheitlich eine negative Konnotation hat. Personen, die kiffen, werden oft mit negativen Stereotypen in Verbindung gebracht, wie mangelnden Ambitionen, Trägheit und Faulheit. Außerdem wird dem Kiffen häufig nachgesagt, dass damit Probleme mit Konzentration und Aufmerksamkeit hervorgerufen werden und eine stringente Motivation, bestimmten Anforderungen gerecht werden zu wollen, regelmäßig untergraben wird. Unbesehen von den real vorliegenden Rahmenbedingungen wird damit oft direkt auf Missbrauch und Abhängigkeit geschlossen, auch wenn den Kriterien hierfür nicht entsprochen wird.
Sprachgeschichtlich wird vermutet, dass das Wort »kiffen« aus dem marokkanisch-arabischen kīf stammt, das »Wohlgefühl« oder auch »Haschisch« bedeuten kann. In der Alltagssprache wird »kiffen« meist spezifisch für das Rauchen von Cannabisprodukten verwendet – typischerweise in Form eines Joints (Cannabiszigarette) oder mit einer Wasserpfeife (Bong). Andere Konsumformen wie das Verdampfen, der orale Konsum oder medizinische Anwendungen fallen in der Regel nicht unter diese Bezeichnung. Auch deswegen ist »Cannabiskonsum« der umfassendere und inklusivere Begriff. Wir bei INDICA entscheiden uns bewusst für eine differenzierte, nicht stigmatisierende Sprache, um individuelle Erfahrungen sichtbar zu machen und gesellschaftliche Verständigung und das Verstehen des Cannabiskonsums zu fördern.
Substanzgebrauch & Cannabisgebrauch

Der Begriff »Drogen- bzw. Substanzgebrauch« steht für das Bemühen, den eher unscharfen Begriff »Drogenkonsum« stärker zu differenzieren. Er knüpft zunächst an die Feststellung an, dass es sich auch beim Drogengebrauch um den Konsum psychoaktiver Substanzen handelt, die das zentrale Nervensystem beeinflussen und die Wahrnehmung, Stimmung, Bewusstsein oder das Verhalten verändern können. Diese Substanzen können sowohl legal (wie Alkohol und Nikotin), verschreibungspflichtig (wie bestimmte Medikamente) als auch illegalisiert (wie Heroin oder Kokain) sein. Im Gegensatz zu den Begriffen »Drogenmissbrauch« und »Drogenabhängigkeit«, die auf einen schädlichen bzw. krankheitswertigen Konsum hinweisen, ist »Drogengebrauch« ein Begriff, der eine Wertung der Häufigkeit oder der Auswirkungen des Konsums als nicht problembehaftet beinhaltet.
Drogengebrauch steht bei INDICA für den Verweis, dass der Gebrauch an die Lebensrealität des jeweiligen Menschen bzw. Konsumenten angepasst ist. Das bedeutet, dass der Gebrauch in einer Weise in den Alltag integriert ist, dass damit keine gesundheitlichen und sozialen Schäden verbunden sind und möglichen Risiken durch ein passendes Risikomanagement zuvorgekommen werden. Einfach erklärt: Der Konsum ist so gestaltet, dass er weder die Gesundheit gefährdet, noch die Arbeit, Ausbildung, Beziehungen oder andere wichtige Lebensbereiche negativ beeinflusst. Die Person weiß, wann, wie viel und in welcher Qualität sie konsumieren kann, ohne sich oder andere zu gefährden – sie übernimmt also Verantwortung für sich selbst. Ein solcher Gebrauch kann sogar Teil einer stabilen Lebensführung sein und positive Effekte haben, solange er bewusst, informiert und reflektiert geschieht.
Bei INDICA wird diese Betrachtung weiter spezifiziert, indem von Cannabisgebrauch gesprochen wird. Welche Motivation den jeweiligen Cannabisgebrauch antreibt und wie selbstbestimmt bzw. bewusst der Gebrauch ist, ist damit weiterhin nicht benannt. Der Verweis auf diese Aspekte des Cannabisgebrauchs setzt deshalb eine weitere Beschreibung voraus, z. B. nicht medizinischer (kulturell etablierter) oder medizinischer Gebrauch.
Missbrauch & Cannabismissbrauch (medizinische Klassifikation)

Ob der Konsum einer psychoaktiven Substanz als Missbrauch bewertet werden muss, hängt von vielen Perspektiven ab. Bei Jugendlichen wird in der Regel jeglicher Konsum als Drogenmissbrauch gewertet. Oft verwendetes Vorbild für die Beurteilung eines Konsums als Missbrauch sind medizinische Klassifikationssysteme (u. a. DSM-5, ICD-11). In diesen werden negative Konsequenzen des Konsums psychoaktiver Substanzen für die Person und/oder ihr Umfeld beschrieben. Haben diese eine bestimmte Ausprägung, ist es gerechtfertigt, von Missbrauch zu sprechen.
In diesen diagnostischen Inventaren sind wichtige Kriterien:
Mindestens drei dieser Kriterien müssen über eine längere Zeit (12 Monate) vorliegen, um von einem Missbrauch sprechen zu können. Das Erkennen von Missbrauch erfordert also eine individuelle und umfassende Bewertung der gesamten Lebenssituation der betroffenen Person. Im Rahmen des Projektansatzes erkennt INDICA diese medizinischen Kriterien an, weist jedoch darauf hin, dass sie primär auf bereits bestehende Missbrauchsstörungen ausgelegt sind. Wir setzen bewusst früher an und richten unseren Fokus darauf, welche Faktoren Konsummündigkeit und einen verantwortungsvollen Umgang mit psychoaktiven Substanzen ermöglichen – dies vor allem, damit andere davon lernen und profitieren können.
Missbrauch & Cannabismissbrauch bei INDICA

Mit dem Begriff »Cannabismissbrauch« wird angesprochen, dass es sich um einen problematischen Konsum von Cannabis handelt. Mit Blick auf den Ansatz von Citizen Science, mit dem auch Teilnehmer, Mitstreiter und Experten in die Arbeit einbezogen werden, die nicht über eine (sucht-)medizinische Ausbildung verfügen, müssen die Kriterien, mit denen über das Vorliegen von Missbrauch reflektiert wird, alltagstauglicher sein.
Diese lassen sich z. B. auf den Punkt bringen, indem kritisch abgefragt wird, ob der Cannabiskonsum in folgendem Rahmen stattfindet:
Weiterhin spielt die Motivation des Gebrauchs eine wesentliche Rolle. Diese kann ggf. durch gezielte Maßnahmen wie therapeutische Interventionen oder sozialpädagogische Hilfestellungen so verändert werden, dass Missbrauch beendet und zu einem Gebrauch gefunden wird. Die individuellen Umstände, Motive und Ressourcen der Konsumenten spielen eine zentrale Rolle für eine faire und differenzierte Bewertung. Deshalb muss Cannabis in der täglichen Anwendung besser verstanden, rekalibriert und müssen dynamische, alltagsnahe Bewertungsmodelle geschaffen werden, die die Lebensrealität der Menschen ernst nehmen – genau hier setzt INDICA mit eigenen Metriken an. Nicht jeder Konsum ist gleich problematisch – INDICA unterstützt eine Unterscheidung.
Drogenabhängigkeit als medizinische Diagnose

Drogenabhängigkeit bzw. Substanzabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die durch das zwanghafte Verlangen nach einer Droge, den unkontrollierten Gebrauch der Substanz und das Auftreten negativer Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Person gekennzeichnet ist. Oft verwendetes Vorbild für die Beurteilung eines Konsums als Substanzabhängigkeit sind medizinische Klassifikationssysteme (u. a. DSM-5, ICD-11). In diesen werden negative Konsequenzen des Konsums psychoaktiver Substanzen für die Person und/oder ihr Umfeld beschrieben. Haben diese eine bestimmte Ausprägung, die zudem über eine gewisse Zeit anhalten (12 Monate), ist es gerechtfertigt, von Abhängigkeit zu sprechen. Geprüft wird an Hand der folgenden Kriterien:
Die Diagnose einer Substanzabhängigkeit entlang dieser Kriterien ist ausschließlich ärztlichem Handeln vorbehalten. Drogenabhängigkeit wird als eine ernsthafte Erkrankung eingestuft, die häufig eine umfassende Behandlung erfordert, einschließlich medizinischer Interventionen, psychologischer Unterstützung und sozialer Rehabilitation. Wir bei INDICA begegnen dem Thema mit großem Respekt und machen in allen Projektbereichen deutlich, dass Abhängigkeit eine medizinisch relevante Diagnose ist, die professionelle Begleitung erfordert. Dazu ermutigen wir ausdrücklich.
Drogenabhängigkeit durch Cannabiskonsum?

Die Frage, ob durch Cannabiskonsum eine Substanzabhängigkeit entstehen kann, wird kontrovers diskutiert. Hintergrund dafür ist, dass sich klassische körperliche Symptome einer Abhängigkeit (z. B. Entzug, Toleranz) nicht oder zumindest nicht so stark feststellen lassen, wie dies für andere psychoaktive Substanzen (z. B. Alkohol, Heroin) gilt. In der Praxis lassen sich jedoch immer wieder auch Fälle finden, für die zumindest eine psychische Abhängigkeit feststellbar ist und die in bestimmten Konstellationen auch als behandlungsbedürftig eingestuft werden müssen. In dieser Ausprägung wird auch bei INDICA von Cannabisabhängigkeit gesprochen.
Schaut man in der medizinischen Literatur, wird vielfach auch der Begriff »Cannabis Use Disorder« verwendet, um das Vorhandensein eines problematischen Cannabiskonsums zu beschreiben, der das persönliche und soziale Leben negativ beeinflusst. Das Stellen dieser Diagnose hat zumindest den Vorteil, dass diagnostizierte Patienten den Zugang zu erweiterter Hilfe, Therapie oder suchtmedizinischer Begleitung erhalten können. Ebenso kann es im Rahmen einer ärztlich begleiteten Behandlung mit medizinischem Cannabis zur Entwicklung einer Abhängigkeit kommen – insbesondere dann, wenn der Konsum unsachgemäß erfolgt oder die therapeutische Begleitung unzureichend ist. Die Diagnose einer Cannabisabhängigkeit darf ausschließlich durch qualifiziertes medizinisches Fachpersonal gestellt werden – auch im Kontext einer ärztlich verordneten Cannabistherapie. Entscheidend sind dabei individuelle Faktoren, die im ärztlichen Setting fachlich bewertet werden müssen.
Zugleich erlaubt dieser medizinische Rahmen, problematische Konsummuster – wie ein unkontrollierter Gebrauch oder ein paralleler illegalisierter Beikonsum in der Substitutionsbehandlung – neu zu bewerten und gezielt zu regulieren. Wenn der Cannabiskonsum unter ärztlicher Aufsicht kontrolliert und zielgerichtet erfolgt, die Substanz medizinisch verordnet wird und eine kontinuierliche Überwachung sowie Anpassung der Dosierung stattfindet, können Risiken wie Toleranzentwicklung oder Entzugssymptome frühzeitig erkannt und aktiv gemanagt werden. Überdies ermöglicht die ärztliche Begleitung eine gezielte Auswahl der Sorte, der Abgabeform, die Prüfung der Produktreinheit sowie die Abstimmung des THC-CBD-Verhältnisses auf die individuelle Situation. Ein zunächst problematisch erscheinender Konsum kann durch die therapeutische Einbettung nicht nur entstigmatisiert, sondern auch sicherer gestaltet und das Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung deutlich reduziert werden.
Mit INDICA wird sich der Aufgabe gestellt, Erfahrungswissen aus unterschiedlichen Versorgungs- und Lebensrealitäten sichtbar zu machen – gerade auch dort, wo Konsum zwischen therapeutischer Nutzung, Selbsthilfe und problematischen Dynamiken oszilliert. Durch die Einbindung persönlicher Berichte, fachlicher Einschätzungen und interdisziplinärer Perspektiven und daraus abgeleiteter Module trägt INDICA als Tool dazu bei, problematische Konsummuster zu reflektieren, frühzeitig zu erkennen, besser zu verstehen und eine informierte, nicht stigmatisierende Auseinandersetzung mit dem Thema zu fördern.
Lebensrealität: Ursachen, Absichten und Auswirkungen

INDICA unterstützt einen, an einem Individuum orientierten Ansatz, um vor dem Hintergrund individueller Lebensrealitäten den Konsum an sich und Gründe für die Entwicklung bestimmter Konsummuster besser zu verstehen. Der Konsum wird nicht als isoliertes Phänomen gesehen, sondern als Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen biologischen, psychischen und sozialen Faktoren. Im Zentrum steht die ganzheitliche Betrachtung der individuellen Lebenslage: Welche persönlichen Belastungen, sozialen Dynamiken oder strukturellen Bedingungen haben zu bestimmten Konsummustern beigetragen? Welche Rolle spielen frühere Erfahrungen, gesundheitliche Einschränkungen, die Art und Motivation des Substanzgebrauchs – und welche Bewältigungsstrategien stehen zur Verfügung?
Statt lediglich Symptome zu erfassen, geht es bei INDICA darum, Verwendungskontexte, Wirkungen und Auswirkungen in ihrer individuellen Bedeutung zu verstehen und daraus konstruktive Wege im Umgang mit Cannabis abzuleiten. Ein besonderer Fokus liegt auf der Selbst- und Fremdwahrnehmung: Häufig erleben Betroffene ihren Konsum als kontrolliert, während Angehörige oder Fachpersonen die Situation anders einschätzen. Diese Wahrnehmungslücke kann zu Co-Abhängigkeiten führen, bei denen das Umfeld – meist unbewusst – den problematischen Konsum unterstützt oder mitträgt. Für uns bei INDICA gelten Eigenverantwortung und Konsummündigkeit aller Beteiligten als zentrale Kompetenzen. Sie befähigen Menschen, ihren eigenen Substanzgebrauch, aber auch den von anderen realistischer zu reflektieren, Risiken zu erkennen und eigenständig informierte Entscheidungen zu treffen oder, wenn nötig, auch Unterstützung anzunehmen.
INDICA unterstützt dabei, realistische, individuelle und nicht stigmatisierende Wege m Umgang mit dem Konsum von Cannabis angelehnt an die Lebensrealität des Einzelnen zu finden. Deshalb werden auch Faktoren berücksichtigt, die über eine medizinische Diagnostik hinausgehen: Alltagstauglichkeit, Selbstwahrnehmung, Konsummotivation, Gesundheitszustand, psychosoziale Ressourcen sowie die realen Versorgungsbedingungen. So entsteht ein ganzheitlicher Rahmen, der den Menschen in seiner konkreten Lebensrealität ernst nimmt und hilft, Hintergründe, Gebrauch, Wirkung und mögliche Folgen detaillierter zu verstehen.
Gesellschaftliche Funktionen psychoaktiver Substanzen

Psychoaktive Substanzen erfüllen in unserer Gesellschaft vielfältige Funktionen, die weit über ihre pharmakologische Wirkung hinaus gehen. Ihr Konsum ist tief in soziale, kulturelle und individuelle Lebenszusammenhänge eingebettet und kann unterschiedliche Bedeutungen, Rollen und Zwecke annehmen. Dieser Begriff der gesellschaftlichen Funktionen spiegelt dabei nicht nur persönliche Bedürfnisse, sondern auch kollektive Muster und Bewältigungsstrategien wider.
Vielen Menschen dienen Substanzen wie Alkohol, Cannabis oder andere psychoaktive Mittel der Entspannung, Stressbewältigung oder Stimmungsregulation im Alltag. In sozialen Kontexten ermöglichen sie häufig Zugehörigkeit, die Lockerung sozialer Normen oder Übergangsrituale – etwa bei Festen, im Freundeskreis oder in jugendkulturellen Szenen. Ebenso spielen psychoaktive Substanzen eine Rolle bei der Selbstfindung, Identitätsentwicklung oder kreativen Entfaltung. Für manche sind sie ein Mittel zur Selbstmedikation, etwa im Umgang mit körperlichen oder seelischen Belastungen. Wieder anderen bieten sie einen Weg, um Erfahrungen von Kontrolle, Ruhe oder innerer Distanz zu schaffen. In spirituellen oder rituellen Zusammenhängen werden sie seit Jahrhunderten eingesetzt, um den Bewusstseinszustand zu erweitern oder Sinnzusammenhänge erfahrbar zu machen. Nicht zuletzt erfüllen psychoaktive Substanzen auch eine gesellschaftlich funktionale Rolle im Sinne der Anpassung, Leistungssteigerung oder Regulation von Erschöpfung – etwa im Kontext von Arbeitsdruck, Reizüberflutung oder emotionaler Überlastung. Dabei zeigt sich: Der Umgang mit psychoaktiven Substanzen ist nicht nur individuell geprägt, sondern auch Ausdruck gesellschaftlicher Normen, Erwartungen und kollektiver Strategien im Umgang mit Belastung, Lust, Kontrolle und Teilhabe.
Ein bewusster, reflektierter Umgang mit diesen Substanzen – jenseits von Verharmlosung oder Stigmatisierung – erfordert das Verständnis ihrer sozialen Einbettung und der Rolle, die sie im jeweiligen gesellschaftlichen Gefüge spielen. Wir bei INDICA greifen diesen Zusammenhang auf, um nicht nur individuelle Konsumgründe, sondern auch kulturelle, historische und funktionale Bedeutungen psychoaktiver Substanzen sichtbar zu machen. Ziel ist, ein tieferes Verständnis für den gesellschaftlichen Rahmen zu schaffen, in dem Konsumentscheidungen getroffen werden und auf dieser Grundlage Ansätze für Aufklärung, Selbstverantwortung, Gesundheitsförderung sowie soziale Integration zu entwickeln. Nur wer die Funktionen, Wertungen und die daraus abgeleiteten Konsumerwartungen erkennt, kann über Wirkung, Risiko und Verantwortung reflektiert sprechen.
Motivation zum Konsum psychoaktiver Substanz

Jede Motivation zum Konsum einer psychoaktiven Substanz besteht aus mehreren Motiven, die bewusst oder unbewusst wirken und in ihrer jeweils spezifischen Struktur eine Person dazu bewegen, bestimmte Handlungen auszuführen oder Entscheidungen zu treffen. Je nach Perspektive auf den Konsum lassen sich verschiedene Motivationsarten unterscheiden. Hier seien u. a. genannt:
Neben der hier genannten Unterscheidung von Motiven für Substanzkonsum lassen sich auch andere Arten einer Differenzierung finden. Allen Differenzierungen gemeinsam ist, dass die Motivation für den Konsum psychoaktiver Substanzen keineswegs immer bewusst oder rational ist, in der Regel auch mehrere der oben genannten Faktoren gleichzeitig eine Rolle spielen können.
Diese allgemeinen Zusammenhänge für die Beschreibung einer Motivation des Substanzkonsums lassen sich auch für den Konsum von Cannabis aufzeigen. Mit INDICA soll es gelingen, diese Motivlagen nicht bewertend, sondern Kontext-sensibel auszuloten, um differenzierte Einsichten in individuelle Beweggründe und Nutzungsmuster zu ermöglichen und daraus Impulse für Aufklärung, Prävention und bedarfsgerechte Versorgung abzuleiten.
Gefahrenpotenziale & Risikoreduzierung

Wie jede psychoaktive Substanz birgt auch Cannabis spezifische Risiken bzw. Gefahrenpotenziale, die abhängig sind von Häufigkeit, Konsumform, individueller Disposition und sozialem Kontext. Dabei spielen auch Kombinationen mit anderen Substanzen eine zentrale Rolle.
Risikoreduzierung (auch: Schadensminimierung oder Harm Reduction) bezeichnet Maßnahmen und Strategien, die darauf abzielen, gesundheitliche, psychische und soziale Folgen des Substanzkonsums zu reduzieren, ohne dabei zwingend auf vollständige Abstinenz zu setzen. Dabei geht es nicht nur um die Vermeidung unmittelbarer Schäden, sondern langfristige auch um Stabilität, informierte Entscheidungen, bewusste Konsummuster und individuelle Lebensqualität. Risikominimierung berücksichtigt, dass der Konsum psychoaktiver Substanzen gelebte Realität ist und schafft Raum für Sicherheit, Reflexion und Prävention.
Gefahrenpotenziale ergeben sich u. a. aus Mischkonsum. Insbesondere der Konsum von Cannabis mit Tabak, ist weitverbreitet – etwa beim Rauchen von Joints. Diese Kombination kann nicht nur die Gefahr einer körperlichen Abhängigkeit erhöhen, sondern auch Atemwege, Kreislauf und psychische Stabilität zusätzlich belasten. Weiterhin steigt die Wahrscheinlichkeit, Gewohnheitsmuster zu entwickeln, die unbewusst verstärkt werden und schwerer aufzulösen sind. In manchen Fällen nutzen Konsumenten nicht nur eine psychoaktive Substanz, sondern gehen darüber hinaus – man spricht dann von multivalentem Konsum und meint damit einen regelmäßigen oder gleichzeitigen Gebrauch mehrerer psychoaktiver Substanzen. Dies kann sowohl bewusst als auch unbewusst geschehen und erschwert die Beurteilung von Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken erheblich.
Die Symptomatik eines problematischen Cannabiskonsums reicht von Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit und sozialem Rückzug bis zu Stimmungsschwankungen, Schlafproblemen oder beginnender psychischer Instabilität. Genau an diesen Punkten setzen die INDICA-Module an: Sie erfassen nicht nur das Verhalten selbst, sondern stellen gezielte Reflexionsfragen zur Lebensrealität, zur Motivation und zur subjektiven Wirkung des Konsums.
Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass sich die Wirkung von Cannabis nicht generalisieren lässt. Die Pflanze weist ein vielseitiges chemisches Profil auf – je nach Sorte, Anbau, Verarbeitung und Konsumform. Auch die Kombination verschiedener Cannabinoide (z. B. THC-dominante vs. CBD-reiche Produkte) kann zu ganz unterschiedlichen Erfahrungen sowohl in Bezug auf die Wirkungen als auch auf Risiken führen. Dabei spielt nicht nur das Produkt eine Rolle, sondern auch die individuelle Ausgangslage wie z. B. die körperliche Verfassung, psychische Stabilität, frühere Konsumerfahrungen und aktuelle Lebensumstände. Auch diese Faktoren wirken stark auf das Erleben der Substanz ein.
Hinzu kommt, dass zunehmend synthetische Cannabinoide oder andere cannabisähnliche Stoffe auf dem Markt auftauchen, die das Risiko für problematische Wirkungen für den Konsumenten erheblich erhöhen. Für diese neuartigen, teils hochpotenten Substanzen fehlen sowohl Sicherheitsdaten als auch ausreichend Anwendungserfahrungen. Das macht sie kaum einschätzbar – weder für Konsumierende noch für Fachpersonen.
Zudem unterscheidet sich der Gebrauch stark in Bezug auf die Motivation und Motive: Während manche Menschen Cannabis aus medizinischen Gründen einsetzen – etwa zur Schmerzreduktion oder Entspannung – nutzen andere die Substanz zum Erhalt der Gesundheit oder für soziale oder emotionale Zwecke. Auch hier gilt: Eine differenzierte Bewertung setzt voraus, dass nicht nur die Substanz, sondern auch Hinweise auf die Motivation des Konsums und die Lebensrealität der Konsumenten in die Bewertung einbezogen werden. INDICA verfolgt diesen ganzheitlichen Ansatz, um Risiken nicht nur zu finden, sondern sie im jeweiligen Lebenskontext der Konsumierenden verständlich und beschreibbar zu machen und auf diese Weise die Grundlage für bewusste Entscheidungen, gezielte Prävention und individuelle Risikominimierung schaffen zu helfen.
Verbreitung & historische Verwendung

Die Verwendung von Cannabis lässt sich bis weit zurück in die Menschheitsgeschichte verfolgen und in zahlreichen Kulturen über Jahrtausende hinweg nachweisen. Die Pflanze wurde dabei nicht nur als Heilmittel, sondern auch als Ritualsubstanz, Rohstoff oder soziales Genussmittel genutzt. Schon früh zeigten sich die vielseitigen Motive für den Konsum: Heilung, spirituelle Verbindung, kreatives Schaffen oder einfach nur Bewusstseinserweiterung.
Diese Beispiele zeigen: Die Nutzung von Cannabis war in der Menschengeschichte nie auf nur eine einzige Funktion beschränkt. Vielmehr war der Konsum immer Teil eines größeren kulturellen, ökonomischen, gesundheitlichen oder spirituellen Zusammenhangs. Heute werden viele dieser Motive erneut aufgegriffen – etwa in der modernen Cannabismedizin, im achtsamen Freizeitgebrauch oder als Selbsthilfestrategie im Umgang mit psychischen Belastungen. Wir bei INDICA würdigen dieses historische Wissen zur Vielschichtigkeit der Cannabisnutzung und verstehen den modernen Cannabiskonsum ebenfalls nicht als eindimensionales Verhalten, sondern als Ausdruck individueller Bedürfnisse und sozialer Einbettung. Damit wird eine differenzierte Betrachtung möglich, die historische Erfahrungen, kulturelle Bedeutungen, aktuelle Lebensrealitäten sowie nahe Zukunft miteinander verbindet.
Kulturell etablierter Konsum in Deutschland

In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Elemente einer eigenständigen Cannabiskultur etabliert – mit eigenen Begriffen, Symbolen, Ritualen und einem wachsenden popkulturellen Echo. Trotz der langen Illegalität war der Konsum von Cannabis für viele Menschen sozial integriert und von einer gewissen Selbstverständlichkeit geprägt. Diese Normalisierung zeigt sich nicht nur im Alltag, sondern auch in der Sprache und den kulturellen Ausdrucksformen, die rund um das Thema entstanden sind.
Ein zentrales Merkmal ist die Alltagssprache innerhalb der Konsumkultur. Begriffe wie „Bubatz“ für Cannabis oder „Weedmop“ als scherzhafte Selbstbezeichnung für leidenschaftliche Konsumierende sind fest in der jüngeren Szene verankert. Der Begriff „Medizinnieren“ wird vor allem im ökologischen oder aktivistischen Umfeld verwendet, um einen selbstbestimmten, nicht pathologisierenden Umgang mit Cannabis auszudrücken, auch wenn keine ärztliche Indikation vorliegt. Damit wird die Sprache bewusst genutzt, um Distanz zu stigmatisierenden Begriffen wie „Kiffen“ oder „Drogenkonsum“ herzustellen und eine andere Haltung zu vermitteln. Auch der beschriebene Zustand nach dem Konsum hat seine eigenen Begriffe. Anstelle von klassischen Ausdrücken wie „auf Sendung“ oder „am Backen“ wird in vielen Kreisen eher von „dicht“, „stoned“ oder „verstrahlt“ gesprochen – Begriffe, die sowohl Intensität als auch Erfahrungsspektrum des Konsums beschreiben. Diese Sprachwelt schafft soziale Nähe, grenzt aber auch gegenüber Außenstehenden ab. Zunehmend sichtbar ist auch der Einfluss internationaler Symbolik auf die deutsche Cannabiskultur.
Die aus den USA stammende „420“-Kultur – ursprünglich ein Code für das gemeinsame Kiffen am Nachmittag – ist längst globaler Ausdruck eines entspannten, ritualisierten Cannabiskonsums geworden. Parallel dazu etabliert sich auch der Begriff „710“, der insbesondere für den Konsum von Cannabisextrakten (Ölen, Dabs) steht – ein Hinweis darauf, wie vielfältig und differenziert moderne Konsumformen inzwischen sind.
Cannabis hat außerdem einen festen Platz in der deutschen Popkultur. Filme wie Lammbock, Serien, Memes und Musik – von SIDO über Seeed hin zu YouTube-Formaten – greifen das Thema immer wieder auf. Dabei entsteht ein Mix aus Humor, Identifikation und gesellschaftlicher Reibung. Die popkulturelle Präsenz ist ambivalent: Einerseits trägt sie zur Normalisierung und Entstigmatisierung bei. Andererseits birgt sie auch Gefahren wie etwa Konsumanreize für jüngere Zielgruppen, die Verharmlosung gesundheitlicher Risiken oder die Verherrlichung unreflektierten Konsums. Die Grenzen zwischen künstlerischer Freiheit, Alltagsrealismus und problematischer Romantisierung sind dabei fließend.
Wir bei INDICA greifen diese sprachlich-kulturellen Entwicklungen und Einflüsse bewusst in den Fragen auf und dies in erster Linie, um Konsumverhalten im sozialen Kontext zu verstehen und nicht, um es zu bewerten oder zu verharmlosen. Die Art, wie über Cannabis gesprochen wird, erzählt viel über Zugehörigkeit, Haltung, Werte und auch über die Unsicherheiten im gesellschaftlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen. Sprache wird so zum Spiegel kultureller Auseinandersetzung und ist deshalb ein zentrales Thema für jede reflektierte Cannabispolitik und Gesundheitskommunikation auf Augenhöhe.
Versorgungsrealität

Versorgungsrealität beschreibt, wie Menschen tatsächlich an Cannabis gelangen – unabhängig davon, ob sie es als Medikament, zur Selbsthilfe oder im Freizeitkontext verwenden. Gemeint ist der gelebte Versorgungsalltag: Welche Wege werden genutzt? Welche Hürden bestehen? Welche Produkte sind verfügbar und unter welchen Bedingungen? Mit der Legalisierung von Cannabis im Jahr 2024 wurde ein bedeutender Meilenstein in Richtung einer legalen Versorgung erreicht. Doch rechtliche Erlaubnis allein garantiert noch keine gerechte oder einfache Versorgung.
Bei INDICA wird bewusst nicht der Begriff »Beschaffung« verwendet, weil dieser häufig mit kriminellen oder problematischen Kontexten assoziiert ist. Stattdessen sprechen wir von Versorgung – einem neutralen Begriff, der den legalen, medizinischen wie auch alltäglichen, individuellen Umgang mit Cannabis realistischer und respektvoller beschreibt.
Diese Versorgungsrealität ist oft von Person zu Person verschieden: Regionale Unterschiede, bürokratische Hürden, Arztmangel, Produktengpässe und Preisbarrieren erschweren den Zugang insbesondere für Personen mit spezifischen Bedürfnissen oder außerhalb standardisierter Versorgungspfade und nachgefragter Pharmaprofile. Viele Menschen nutzen deshalb für sich alternative Wege zu einer Versorgung und dies nicht nur bedingt aus Ablehnung bzw. Ergänzung des Systems, sondern oft aus praktischen Gründen. Dazu gehören beispielsweise:
Mit INDICA lassen sich diese Versorgungserfahrungen systematisch, teilweise komplett ohne Benutzerprofil und nicht normativ bewertet dokumentieren. Es geht nicht darum, was erlaubt oder „richtig“ ist, sondern zu verstehen, wie Menschen tatsächlich konsumieren, navigieren und entscheiden. Welche Wege wählen sie? Welche Motive stehen dahinter? Welche Kriterien, Auslöser, Barrieren oder Unsicherheiten beeinflussen die Entscheidung? Ziel ist eine realitätsnahe Grundlage für Forschung, Versorgung und Aufklärung und das aus der Perspektive derjenigen, die es betrifft. Das Projekt betrachtet die Versorgungsrealität als Schaltstelle für informierte Konsumentscheidungen in der vielseitigen alltäglichen Praxis der Cannabiskonsumenten in Deutschland.
Versorgungsinfrastruktur

Laut des europäischen Drogenberichts 2024 der European Union Drugs Agency (EUDA, ehemals EMCDDA) bleibt Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale (bzw. nun teils legale) Droge in Europa. Schätzungen zufolge haben 15,2 % der EU-Bürger im Alter von 15 bis 34 Jahren im letzten Jahr Cannabis konsumiert. Besonders hoch ist der Anteil bei den 15- bis 24-Jährigen, mit einer Jahresprävalenz von etwa 19 %, was europaweit rund 9 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe entspricht.
In Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild:
Die Entscheidung, Cannabis zu konsumieren, wird nach wie vor durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Dabei spielen individuelle, soziale, kulturelle, rechtliche und gesundheitliche Aspekte eine Rolle. Auch Lebensphasen, Erkrankungen, der Umgang im Freundeskreis und der Zugang zu Informationen sowie die gesellschaftlichen Bewertungsprozesse sind prägend für die Verbreitung des Cannabiskonsums. Obwohl Cannabis in Deutschland seit dem 1. April 2024 teilweise legalisiert wurde – inklusive Eigenanbau, Besitz in begrenztem Umfang und Bezug über nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen – bleibt der tatsächliche Zugang komplex:
Der Markt befindet sich aktuell im Wandel, was auch die Konsumgewohnheiten und Bezugskanäle verändert. Erste Studien nach der Legalisierung zeigen, dass ein Teil der bisherigen Gelegenheitskonsumenten seinen Konsum eingestellt hat, während andere keine Veränderung berichten. In der jungen Generation (18–29 Jahre) gaben bereits vor der Legalisierung rund 28 % an, mindestens einmal pro Woche konsumiert zu haben.
Bezugsquelle: Die Wahl der Bezugsquelle richtet sich danach, was verfügbar, bezahlbar und rechtlich zugänglich ist. Dennoch greifen viele weiterhin auf den illegalisierten Markt zurück – z. B. bei regional fehlenden Angeboten, zu strengen Clubvoraussetzungen oder weil gewünschte Sorten nicht offiziell erhältlich sind. Auch digital organisierte Versorgungswege spielen eine zunehmende Rolle, insbesondere in unterversorgten Regionen. Die aktuelle Versorgungsstruktur ist vielfältig, aber nicht lückenlos.
Produktvielfalt und Auswahl: Je nach Bezugsquelle unterscheiden sich Bandbreite und Qualität der verfügbaren Produkte deutlich. Während Apotheken bestimmte Sorten standardisiert abgeben und medizinisch begleiten, bieten nicht regulierte Märkte oft eine größere Auswahl, jedoch mit teils unklarer Qualitätsprüfung. Verbraucher orientieren sich nicht nur an THC- oder CBD-Werten, sondern zunehmend auch an Terpenprofilen, Darreichungsform und Preis.
Rechtliches Risiko: Zwar ist der Besitz von Cannabis unter bestimmten Bedingungen legalisiert, jedoch bestehen weiterhin rechtliche Unsicherheiten – etwa beim Transport, bei Mengenüberschreitungen, im Rahmen von Mischkonsum mit Alkohol oder bei nicht klar geklärten Besitzverhältnissen. Der Umgang mit Cannabis außerhalb der klar geregelten Strukturen bleibt ein Graubereich mit möglichem Straf- oder Bußgeldrisiko, insbesondere bei Eigenanbau oder Weitergabe.
Aufwand und Preis-Leistungs-Verhältnis: Der Aufwand für die Beschaffung – sowohl finanziell als auch organisatorisch – beeinflusst stark, welche Quelle gewählt wird. Apothekenpreise sind durch gesetzliche Vorgaben oft hoch, Anbauvereine erfordern Mitgliedschaften und Wartezeiten, während informelle Kanäle günstiger, aber risikobehaftet sind. Für viele ist es entscheidend, wie viel Aufwand sie betreiben müssen, um das subjektiv passende Produkt zu einem akzeptablen Preis-Leistungs-Verhältnis zu erhalten.
Zugangshürden: Die Einstiegshürden in legale Versorgungsstrukturen sind trotz Fortschritten nicht überall niedrig. Bürokratische Abläufe, regionale Unterschiede bei der Clubdichte, Unsicherheiten bei der medizinischen Verschreibung oder unklare Informationen können den Zugang erschweren – besonders für Erstkonsumenten oder medizinisch interessierte Nutzer.
Gesundheitsvorteile und -risiken: Auch nach der Legalisierung können gesundheitliche Risiken entstehen z. B. durch unklare Produktspezifikation, ungeklärte Wechselwirkungen oder Überdosierungen durch hohe Konzentrationen. Je nach Bezugsquelle kommen Risiken wie Streckmittel, Schimmelbefall oder Schwermetallbelastung hinzu. Auch das Konsumumfeld (riskante Anwendungssituationen, praktizierter Mischkonsum z. B. mit Alkohol) beeinflusst mit seinen Einflussfaktoren letztlich die gesundheitlichen Auswirkungen des Konsums.
Die Realität zeigt, dass ein Selbstverpflichtungen durch die Industrie etwa in Bezug auf Qualitätsstandards, Transparenz oder Sortenvielfalt eine zunehmend wichtigere Rolle spielen, oftmals aber auch nicht funktionieren. Gleichzeitig entstehen neue Fragen zur Produktsicherheit, zum Beispiel bei neuartigen Stoffen wie HHC, bei nicht überprüfter Herkunft, Streckmitteln, Schimmelbelastung oder Schwermetallrückständen – insbesondere außerhalb regulierter Strukturen. Effektive Schadensminimierungsstrategien umfassen jedoch weitaus mehr als nur den Blick auf die Substanz. Dazu gehört vor allem der Konsument und sein Umgang mit der Substanz wie eine persönliche Reflexion des Konsumverhaltens, die Dokumentation des Gebrauchs und bei Bedarf der Einstieg in therapeutische Maßnahmen.
Die Schaffung von Grundlagendaten durch anonymisierte wissenschaftliche Erhebungen wie INDICA kann dazu beitragen, das Verständnis für Konsummuster zu verbessern und gezielte Präventions- und Interventionsstrategien zu entwickeln. Durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Einflussfaktoren auf den Konsum können Individuen und Gesellschaften fundiertere Entscheidungen im Umgang mit Cannabis treffen und potenzielle Risiken minimieren. Bei INDICA wird diese Versorgungsrealität deshalb nicht abstrakt betrachtet, sondern mit den Augen der Konsumenten: Welche Erfahrungen machen sie mit den vorhandenen Zugängen? Welche Kriterien beeinflussen die jeweilige Konsumentscheidung? Und wie wirken sich diese Wege langfristig auf Gesundheit, Verhalten und Wahrnehmung aus?
Konsummündigkeit

Die Diskussion darüber, ob Cannabis „Schuld“ an psychischen Problemen, sozialem Rückzug oder riskantem Verhalten trägt, greift häufig zu kurz und ist mehrheitlich substanzfixiert. Sie reduziert komplexe Zusammenhänge auf eine einfache Kausalität nach dem Muster “Die Drogen macht…”– und verkennt dabei die Rolle der Konsumierenden selbst. Der Begriff Konsummündigkeit lenkt auf eine differenziertere Sichtweise: Er verlagert die Verantwortung weg von der Substanz als „immobilem Objekt“ hin zur mündigen, selbstbestimmten Person, die mit dieser Substanz umgeht. Konsummündigkeit meint die Fähigkeit, bewusst, informiert und reflektiert Entscheidungen über den eigenen Konsum zu treffen – unter Berücksichtigung von Wirkung, Kontext, Motiven, Risiken und sozialen Umständen. Dabei geht es nicht um Schuld oder Ideologie, sondern um eine Haltung zur Selbstverantwortung – vergleichbar mit Ernährung, Sexualität oder Mediennutzung. Im Fokus steht also nicht das „Ob“, sondern das „Wie“: Wie, warum, wann und unter welchen Bedingungen konsumiert wird, ist entscheidend für die Bewertung von Risiken und Potenzialen.
Die Frage nach dem Schaden stellt sich dabei doppelt: Schadet sich jemand selbst – etwa gesundheitlich, emotional oder funktional? Oder entsteht Schaden im sozialen Umfeld durch Rückzug, Überforderung, Vermeidung oder Beziehungsabbruch? Beides ist möglich, aber nicht zwangsläufig. Viele Konsumierende treffen bewusste, reflektierte Entscheidungen. Andere wiederum konsumieren aus Gewohnheit, Druck oder fehlenden Alternativen. Cannabis ist dabei Auslöser und Ausdruck zugleich, aber oft nicht die Ursache, sondern das Ventil für vorhandene Belastungen.
Drogen- & Konsummündigkeit: Das Gegenteil von Abhängigkeit ist nicht zwangsläufig Abstinenz. Vielmehr liegt das Ziel in einer Konsummündigkeit in der Fähigkeit, informierte, selbstverantwortliche Entscheidungen über Substanzgebrauch zu treffen. Das schließt Wissen über Risiken und Wirkweisen ebenso ein wie die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Selbstregulation. Mündigkeit entsteht nicht im luftleeren Raum: Sie ist beeinflusst von sozialen Faktoren wie Herkunft, Bildung, Erziehung, Peergruppen, Lebensstil, psychischer Gesundheit, Stressbewältigungskompetenz oder gesellschaftlicher Akzeptanz. Auch strukturelle Bedingungen wie z. B. Zugang zu Information, Unterstützungssystemen, der Umgang mit Tabus wirken darauf ein, wie reflektiert oder risikobehaftet Konsumentscheidungen getroffen werden können.
Cannabis als Mittel zur Schadensminimierung: In manchen Fällen wird Cannabis gezielt genutzt, um den Schaden durch andere Substanzen zu reduzieren – etwa als „mildere“ oder kontrollierbare Alternative. Dazu zählen der Einsatz von CBD-reichem Cannabis als Ersatz für THC-lastige Produkte, aber auch der medizinische Gebrauch von Cannabis zur Substitution stärkerer, opiodhaltiger Medikamente, z. B. bei chronischen Schmerzen, Schlafstörungen oder Angstzuständen. In der Praxis berichten zudem manche Menschen, dass Cannabis ihnen geholfen hat, von alkoholischem Problemkonsum, Benzodiazepinen, Tabak, Amphetaminen oder gar Opioiden loszukommen oder den Konsum zu reduzieren. In diesem Sinne kann Cannabis in Einzelfällen auch als „Ausstiegsdroge“ verstanden werden – eine Umkehr der lang widerlegen klassischen Narrative der Einstiegsdroge. Diese Effekte sind individuell sehr unterschiedlich, häufig nicht ausreichend wissenschaftlich begleitet und nicht frei von Risiken. Aber sie eröffnen neue Perspektiven auf Cannabis als Bestandteil von Selbstregulation und Autonomiebestrebungen, die ernst genommen werden müssen.
Im Zentrum steht bei INDICA daher nicht allein die Frage nach dem Maß des Konsums, sondern nach der Entscheidungsfähigkeit hin zu einem bewussten Konsum. Dabei wird bei INDICA nach der Motivation, dem Kontext und der Reflexionsfähigkeit gefragt, mit der dieser geschieht. Menschen sollen befähigt werden, ihr eigenes Verhalten zu verstehen, einzuordnen und selbstverantwortlich zu gestalten – unabhängig davon, ob sie gar nicht erst konsumieren, reduzieren oder aussteigen möchten. Die Antwort auf die Frage „Ist Cannabis schuld?“ lautet deshalb oft: Es kommt darauf an, wer wie damit umgeht – und welche Motive und Kompetenzen hinter dem Konsum liegen. Es geht darum, mehr Verantwortung für seinen eigenen Konsum zu übernehmen und diesen reflektiert stattfinden zu lassen.
Krankheit, Lebensqualität, Gesundheit

Die Verwendung von Cannabis lässt sich nicht immer eindeutig in „medizinisch“ und „nicht-medizinisch“ einteilen. Viele Konsumierende und Patient*innen bewegen sich in einem fließenden Kontinuum, das geprägt ist von individuellen Motivationen, Symptomen, Erfahrungen und den jeweils verfügbaren Zugangsmöglichkeiten. Eine Person kann Cannabis zugleich aus medizinischen, persönlichen, rituellen, kulturellen oder sozialen Gründen verwenden – oft ohne diese klar voneinander trennen zu können. Eine scharfe Abgrenzung ist deshalb in der Praxis nicht sinnvoll, wird jedoch aus gesetzlichen und versorgungstechnischen Gründen häufig gefordert. Ein Beispiel: Eine Person nutzt Cannabis zur Entspannung und besseren Schlafqualität, ohne ärztliche Begleitung. Ist das nicht medizinisch? Gleichzeitig berichten Patienten mit chronischen Erkrankungen von denselben Effekten – aber im Rahmen einer ärztlich begleiteten Therapie. Die Wirkung bleibt identisch, die Einordnung unterscheidet sich – meist nur durch die Zugangswege, Dokumentation und rechtlich-finanzielle Absicherung.
Ein möglicher Ansatz zur Differenzierung liegt in der Motivation: Wird Cannabis gezielt zur Behandlung konkreter Symptome eingesetzt – etwa bei Schmerzen, Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit – oder dient der Konsum eher der Stimmungsregulation, Prävention oder dem Erhalt von Lebensqualität? Auch hier verlaufen die Grenzen fließend. Viele Menschen, die keinen legalen Zugang zu medizinischem Cannabis, keine Kostenübernahme oder einen begleitenden Arzt haben, nutzen es dennoch faktisch therapeutisch – beispielsweise zur Linderung chronischer Beschwerden oder zur psychischen Stabilisierung. Formal gelten sie als Konsumenten, beziehen nicht über die Apotheke, ihr Verhalten ähnelt jedoch eher dem eines Patienten.
Umgekehrt gibt es Konsumenten, die Cannabis unterbewusst oder beiläufig einsetzen, ohne diesen Gebrauch ausdrücklich als Teil einer Therapie zu verstehen – etwa zur emotionalen Regulation, zur Stressreduktion, im Umgang mit nicht diagnostizierten Symptomen oder zur Selbstberuhigung im Alltag. Sie sehen sich selbst als Freizeitkonsumenten, handeln aber – betrachtet man Motivation und Wirkung – eher im medizinischen Sinne. Ihr Konsum unterscheidet sich äußerlich kaum vom sogenannten Freizeitgebrauch und kann erst durch Selbstreflexion und gezielte, kontextbezogene Fragen angemessen verstanden und eingeordnet werden.
Cannabis wirkt subjektiv und individuell – und je nach Ziel kann eine Wirkung als positiv, neutral oder unerwünscht erlebt werden. Ein klassisches Beispiel ist das Auftreten von Munchies (vermehrter Appetit): Im Alltag problematisch – in der Krebstherapie jedoch gezielt erwünscht. Oder die sedierende Wirkung von THC, die bei Schlafproblemen helfen kann – aber im nicht-medizinischen Gebrauch z. B. im Straßenverkehr oder im Berufsleben riskant wäre. Ähnliches gilt für Wechselwirkungen: In der Medizin kann Cannabis helfen, opioidhaltige Medikamente zu reduzieren („opioid-sparing“). Im unkontrollierten Konsum aber kann die Kombination mit Opioiden zu Überdosierungen führen. Auch CBD wird von vielen zur Milderung leichter Beschwerden, zur Stressbewältigung oder zum Erhalt geistiger und körperlicher Gesundheit genutzt – etwa im Bereich Frauengesundheit, bei Migräne oder zur Förderung mentaler Balance.
Die Vielzahl an Einsatzgebieten ist auch eine Folge der Tatsache, dass es kaum spezifische Indikationen und nur wenige zugelassene Fertigarzneimittel gibt. Therapien erfolgen meist individuell angepasst, mit einer hohen Bandbreite an Wirkstoffen, Sorten und Konsumformen. Das macht die Anwendung flexibel, aber auch regulatorisch offen. Hinzu kommt: Je nach Grunderkrankung, Nebenerkrankungen, psychischer Verfassung, Lebenssituation und Erfahrungshintergrund setzen Menschen ganz unterschiedliche Prioritäten bei Wirkung und Nebenwirkung. Für die einen steht Schmerzlinderung im Vordergrund, für andere sind es Appetit, Schlaf, Stimmung oder die Rückkehr zu sozialen Aktivitäten. Auch hier steht die individuelle Erfahrung im Kontext des jeweiligen Motivs.
INDICA untersucht deshalb nicht nur, wer Cannabis konsumiert, sondern warum, wie, mit welcher abgezielten Wirkung – und in welchem Kontext. Denn zwischen Arznei und Genuss liegt kein Widerspruch, sondern oft nur eine unterschiedliche Perspektive auf das gleiche Verhalten. Ziel ist es, individuelle Nutzungsverläufe auch im Zeitverlauf besser zu verstehen – und sie nicht nach juristischen Kategorien, sondern nach ihrem Beitrag zur Lebensqualität, Stabilität und Selbstbestimmung zu bewerten. Das gilt sowohl für medizinische Anwendungsbereiche als auch darüber hinaus – etwa dann, wenn ein Konsument oder ehemaliger Patient seine Erfahrungen mit oder ohne aktuellen Cannabiskonsum einbringen möchte, unabhängig von Diagnose, Therapiekontext oder individuellen Motiven. Langfristig sollen auch Beobachter aus dem persönlichen Umfeld sowie Personen, die im Auftrag eines Konsumenten oder Patienten handeln, ihre Perspektiven einbringen können – etwa als Angehörige, Unterstützer oder Begleitpersonen. Auch diese Sichtweisen sind relevant, um das Zusammenspiel von Wirkung, Verhalten, Umfeld und subjektivem Erleben ganzheitlich zu erfassen.
High sein

Das Gefühl, „high“ zu sein, gehört zu den am häufigsten erwähnten Effekten von Cannabis – und ist dennoch wissenschaftlich kaum präzise definiert. Der Begriff wird im Alltag oft verwendet, bleibt aber in medizinischen, psychologischen und sozialen Kontexten unscharf. Dabei ist gerade das subjektive Erleben des High zentral für das Verständnis von Konsummotiven, Wirkungseinschätzungen und gesundheitsbezogenen Entscheidungen. Der Philosoph Dr. Sebastian Marincolo beschreibt das High als einen veränderten Bewusstseinszustand, der nicht nur mit Entspannung oder Euphorie einhergeht, sondern auch mit kognitiver Umstrukturierung, gesteigerter Wahrnehmung, Fokusverlagerung oder einem veränderten Zeitempfinden. Für manche ist das High vordergründig beruhigend, für andere inspirierend, assoziativ oder sinnlich intensiv. Diese Vielgestaltigkeit macht eine pauschale Beurteilung oder therapeutische Empfehlung – etwa durch einen Arzt oder Budtender – schwierig, solange keine verlässliche Begriffsbestimmung oder Wirkungstypologie vorliegt.
In Forschung, Diagnostik und Öffentlichkeit wird der Cannabiskonsum häufig im Suchtfokus betrachtet. Viele Fragebögen oder Screenings zielen auf Missbrauch, Kontrollverlust oder Abhängigkeit – weniger auf die Vielfalt des Erlebens. Dabei konsumiert die Mehrheit der Cannabisanwender nicht missbräuchlich, sondern gelegentlich oder regelmäßig, mit klaren persönlichen Zielen: Entspannung, Schmerzreduktion, Inspiration, Selbstregulation. Abstufungen nach Konsumfrequenz, -intensität oder -anlass werden jedoch oft nicht ausreichend erfasst – ebenso wenig wie psychosoziale Kontexte oder Lebensqualität als Wirkungskriterium. Die Frage „Was bedeutet high für dich?“ wird selten gestellt – obwohl sie zentrale Erkenntnisse über individuellen Nutzen, Risiken und Bedürfnisse liefern könnte.
Das subjektive Erleben eines „High“ ist nicht allein das Ergebnis der Cannabispflanze, sondern entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel zahlreicher Faktoren. Dazu gehören zunächst die Phänotypen und Genotypen der jeweiligen Cannabissorte, also die genetischen Eigenschaften und chemischen Profile, die beispielsweise THC, CBD oder Terpengehalt beeinflussen. Ebenso spielt der individuelle Gesundheitszustand, die Lebensumstände sowie die genetische Disposition, der Stoffwechsel und die neurochemische Ausgangslage des Konsumenten eine entscheidende Rolle. Unterschiedliche Menschen reagieren sehr verschieden auf ein und dasselbe Produkt – abhängig von inneren Voraussetzungen und äußeren Bedingungen. Ein weiterer zentraler Einflussfaktor ist die Abgabeform: Ob Cannabis geraucht, verdampft, gegessen, getrunken oder als Tinktur verwendet wird, beeinflusst maßgeblich den metabolischen Weg im Körper – etwa inhalativ, oral, sublingual oder buccal – und damit auch die Wirkungsdauer, -intensität und -qualität. Nicht zuletzt beeinflussen auch Set und Setting – also innere Haltung, Erwartung, emotionale Lage, Tagesform sowie äußere Umstände – das Erleben. Ob ein High als angenehm, stimulierend, beruhigend oder irritierend empfunden wird, hängt stark davon ab, unter welchen Bedingungen konsumiert wird. Diese Vielzahl an Einflussfaktoren macht das subjektive High schwer vorhersagbar, aber dennoch wissenschaftlich erfassbar – vorausgesetzt, es existieren geeignete Metriken, strukturierte Datenmodelle und die Bereitschaft, individuelle Erfahrungen differenziert zu dokumentieren und auszuwerten.
INDICA möchte das Konzept der Cannabiserfahrung differenzierter verstehen und sichtbar machen. Dazu sollen über anonymisierte Datenmodelle, standardisierte Fragen, aber auch offene Erfahrungsberichte realitätsnahe Einblicke entstehen: Was genau passiert beim High – emotional, kognitiv, körperlich? Wie verändert sich das Erleben über die Zeit, mit Krankheit, Alter, Dosierung? Um Verzerrungen – etwa durch Angst vor Stigmatisierung – zu minimieren, setzt INDICA auf Vertrauen, freiwillige Beteiligung und geschützte digitale Räume. Denn nur wenn Konsumenten offen berichten können, lässt sich zwischen subjektivem Glauben und überprüfbarem Wissen unterscheiden. Ziel ist es, gemeinsam mit der INDICA Gemeinschaft Metriken zu entwickeln, die nicht nur Suchtverhalten, sondern auch positives Erleben, Lebensqualität und individuelle Wirkungsmuster abbilden. So wird aus dem „High“ ein lernbarer, beschreibbarer und diskutierbarer Zustand – und aus Erfahrungswissen eine neue Datenbasis für Forschung, Versorgung und Aufklärung.
Cannabis als Medizin & Konsummotivation

Die Motivation für eine Behandlung mit Cannabismedizin speist sich immer aus mehreren Motiven, die zum inneren Antrieb oder Grund werden, bestimmte Handlungen auszuführen oder Entscheidungen zu treffen. Motive hierbei sind oft mit Bedürfnissen, Wünschen oder Zielen verbunden, die sowohl die eigene Person betreffen, als auch Aspekte des sozialen Umfeldes berühren. Diese haben in der Gesamtmotivation eines jeden Menschen ein unterschiedliches Gewicht. Wichtige Aspekte, die eine Person dazu bewegen, Cannabismedizin in Anspruch zu nehmen, sind:
Ergänzend spielen auch haltungsbezogene und systembedingte Einflussfaktoren eine Rolle. Dazu zählen die eigene Einstellung zur konventionellen Pharmaindustrie, das Vertrauen in pflanzliche Arzneimittel, die individuelle Haltung zu Cannabis als Heilpflanze oder die Präferenz für „naturnahe“ oder alternative Heilmethoden. Ebenso bedeutsam ist das Verhältnis zum medizinischen System: die Offenheit oder Skepsis des behandelnden Arztes, die Fachkenntnis in Bezug auf Cannabismedizin, die Erreichbarkeit eines approbierten und auf eine Verordnung offenen Arztes sowie die Frage, ob der Patient sich in der medizinischen Beziehung gehört, ernst genommen und handlungsfähig fühlt. Auch ökonomische Faktoren wie Zeitaufwand, Fahrtwege, Arztwechsel, private Vorfinanzierung oder komplizierte Antragstellungen können Motivation hemmen oder verstärken.
INDICA berücksichtigt diese komplexe Motivlage, um ein realistisches Bild davon zu zeichnen, warum Menschen Cannabismedizin wählen – und wie sich individuelle Motive mit strukturellen Bedingungen überlagern. Ziel ist es, aus diesem Verständnis heraus Anreize, Hürden und Bedarfe besser zu erkennen – und den Zugang zu einer individuellen, reflektierten und wirksamen Therapie zu verbessern.
Verwendung von Cannabismedizin

Der Begriff „Cannabismedizin“ verweist ausdrücklich auf die medizinische Verwendung von Cannabis oder seinen Bestandteilen zur Behandlung oder Linderung von Krankheitssymptomen. Findet diese Behandlung im Rahmen einer ärztlich verordneten Therapie statt, werden dafür in der Regel Produkte verwendet, die speziell für den medizinischen Gebrauch angebaut, geprüft und verarbeitet wurden. Dazu zählen getrocknete Blüten, Öle, Extrakte oder essbare Produkte mit definierten Mengen an THC, CBD, weiteren Cannabinoiden und Terpenen.
In der Regel unterscheiden sich sowohl die Muster als auch die Motivation der Anwendung von denen, die eher mit Freizeitkonsum, Genuss oder sozialer Zugehörigkeit verbunden sind. Dennoch verschwimmen in der Praxis häufig die Grenzen: Viele Patienten nutzen Cannabis zur Selbstregulation, ohne sich selbst als Patient zu sehen oder eine formale Diagnose zu haben – etwa bei Schlafproblemen, emotionaler Belastung oder chronischem Stress.
Ein besonderer Bereich, der differenziert betrachtet werden muss, ist die Verwendung von Cannabis bei psychischen Erkrankungen. In der öffentlichen Diskussion wird oft auf die Möglichkeit einer Cannabispsychose verwiesen – also einer durch Cannabiskonsum ausgelösten oder verstärkten psychotischen Episode. Gleichzeitig berichten viele Betroffene mit Angststörungen, posttraumatischer Belastung oder Persönlichkeitsstörungen von positiven Erfahrungen im Umgang mit Symptomen durch Cannabismedizin. Entscheidend ist hier die individuelle, differenzierte Einzelfallbetrachtung, auch um zwischen bewusster und unterbewusster therapeutischer Nutzung zu unterscheiden.
Hinzu kommen Aspekte wie Routine und Gewohnheit: Cannabismedizin wird in vielen Fällen in den Alltag integriert – sei es als Einschlafhilfe, zur Stabilisierung der Stimmung oder zur Begleitung bei chronischen Erkrankungen. Diese alltägliche Verwendung kann sowohl strukturstabilisierend als auch potenziell problematisch sein – etwa wenn der Gebrauch unreflektiert oder rein automatisch erfolgt.
Selbstverwaltung und Schadensminimierung sind daher zentrale Konzepte – unabhängig davon, ob es sich um medizinische oder nicht-medizinische Nutzung handelt. Konsumreflexion, bewusste Dosierungsentscheidungen oder gezielte Konsumpausen sind Maßnahmen, die von vielen Patienten und Konsumenten aktiv eingesetzt werden, um die eigene Belastbarkeit zu stärken, Toleranzeffekte zu vermeiden oder einen verantwortungsvollen Umgang mit der Substanz aufrechtzuerhalten.
Ein bewährtes Prinzip in diesem Zusammenhang ist „Start low, go slow, stay low“ – also mit einer niedrigen Dosis zu beginnen, diese langsam und bewusst anzupassen und im Zweifelsfall auf niedrigerem Niveau zu bleiben. Diese Regel dient sowohl der Minimierung unerwünschter Nebenwirkungen als auch der Förderung eines individuell passenden, sicheren und nachhaltigen Konsummusters. Wie wenden Konsumenten und Patienten dieses Prinzip im Alltag an?
Aktuell findet an keiner offiziellen Stelle mehr eine Befragung der Patienten oder Behandler zu Anwendungsthemen statt. INDICA untersucht diese Praxisdimensionen, um zu verstehen, wie Cannabismedizin im Alltag tatsächlich verwendet wird, welche Wirkungen erzielt oder angestrebt werden – und welche individuellen Selbststeuerungsstrategien zur Anwendung kommen. Ziel ist es, nicht nur standardisierte Therapiepfade, sondern auch subjektives Erfahrungswissen, Selbstverantwortung und realitätsnahe Anwendungsformen in die Bewertung und Weiterentwicklung von Cannabismedizin einzubeziehen.
Selbstinitiierte Therapie

Mit dem Begriff „selbstinitiierte Behandlung“ wird auf Prozesse aufmerksam gemacht, in denen Individuen eigenständig Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen, um ihre gesundheitlichen Beschwerden oder Erkrankungen zu behandeln – ohne vorher professionellen medizinischen Rat einzuholen. Dies kann verschiedene Formen und Ansätze umfassen:
Vorteile der selbstinitiierten Behandlung bestehen darin, dass Patienten schnell und direkt Maßnahmen ergreifen können, ohne auf einen Arzttermin warten zu müssen. Sie erleben ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit und das Gefühl, Kontrolle über die eigene Gesundheit zu behalten. Zudem kann es zu einer Kostenersparnis kommen – etwa durch den Verzicht auf Konsultationen oder den Einsatz günstigerer Alternativen zu teuren Fertigarzneimitteln, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden.
Risiken und Herausforderungen ergeben sich jedoch ebenfalls: Es besteht die Gefahr von Fehldiagnosen, da Symptome missinterpretiert und dadurch inadäquate oder potenziell schädliche Behandlungen gewählt werden können. Zudem besteht das Risiko von Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sowie unerwünschten Nebenwirkungen durch unkontrollierte Selbstmedikation. In manchen Fällen kann die selbstinitiierte Behandlung dazu führen, dass notwendige medizinische Maßnahmen verzögert oder ganz versäumt werden.
Bei INDICA wird davon ausgegangen, dass es einen großen Bereich selbstinitiierter Behandlungen mit Cannabis gibt, aus dem sich wertvolle Hinweise auf Erfahrungsmedizin ableiten lassen. Ungeachtet dieser positiven Würdigung gilt, dass auch die selbstinitiierte Behandlung mit Cannabis idealerweise und wann immer möglich durch Rücksprache mit einem Behandler ergänzt werden sollte – um sicherzustellen, dass sie sicher und wirkungsvoll ist.
Ärztlich begleitete Therapie

Eine ärztlich begleitete Therapie bzw. Behandlung bezieht sich auf einen medizinischen Betreuungsprozess, bei dem ein Patient unter der regelmäßigen oder kontinuierlichen Aufsicht und Anleitung eines qualifizierten Arztes behandelt wird. Diese Form der Behandlung umfasst mehrere wesentliche Elemente:
Eine ärztlich begleitete Behandlung bietet den Vorteil, dass Patienten Zugang zu Experten-gestützten Diagnosen und evidenzbasierten Therapien erhalten. Im Kontext der Behandlung mit Cannabismedizin ist jedoch zu beachten, dass dieses Feld in der Medizin noch relativ jung ist. Nicht überall liegt bereits eine ausreichende Expertise vor, und dem Rückgriff auf Cannabismedizin begegnen weiterhin Vorbehalte – sowohl im Gesundheitssystem als auch in der Gesellschaft.
INDICA setzt genau an dieser Systemrealität an: Das Projekt will Hürden in der Versorgungspraxis sichtbar machen – etwa wenn Patienten auf Ablehnung stoßen, weil Ärzte unsicher oder skeptisch gegenüber Cannabis sind, oder wenn es zu Verzögerungen durch langwierige Kostenübernahmeanträge bei den Krankenkassen kommt. Überdies dokumentiert INDICA erlebte Stigmatisierung im medizinischen Setting, z. B. wenn Patienten als „Kiffer“ wahrgenommen oder in ihrer Leidenssituation nicht ernst genommen werden. Gleichzeitig soll ein besseres Verständnis für ärztliche Perspektiven entstehen: Wo fehlen Informationen, wo bestehen rechtliche Unsicherheiten, wo überfordert die Vielfalt an Produkten die therapeutische Einschätzung?
Auch die Rolle der Apotheke wird berücksichtigt – als zentrale Schnittstelle zwischen Verordnung, Beratung und Abgabe. INDICA will untersuchen, wie kompetent und zugänglich Apotheken im Umgang mit Cannabismedizin agieren, und welche Herausforderungen dort in der Praxis auftreten – etwa bei der Sortenauswahl, Produktverfügbarkeit oder Preisgestaltung. Ein besonderer Fokus liegt auf der systematischen Dokumentation von Erfahrungen – sowohl mit als auch ohne Cannabis. Dazu gehören auch Abbruchgründe, wenn Patienten sich gegen Cannabismedizin entscheiden oder eine begonnene Behandlung nicht fortsetzen: War es die Wirkung? Der Aufwand? Die Haltung des Arztes? Die Kosten? Die Unsicherheit?
INDICA will diese Gründe erfassen, um daraus Rückschlüsse für eine bedarfsorientierte und menschlichere Versorgung zu ziehen. Das Projekt fördert den Austausch von Erfahrungswissen mit Systemwissen, um so einen Beitrag zu leisten, dass Cannabismedizin als Teil einer regulären, anerkannten und individualisierbaren Versorgung gedacht und gestaltet werden kann – im Dialog zwischen Patienten, Ärzten, Apothekern und Institutionen.
Compliance

Der Begriff „Compliance“ stammt ursprünglich aus dem Englischen und bedeutet wörtlich „Einhaltung“ oder „Befolgung“. Im medizinischen Kontext bezeichnet „Compliance“ das Ausmaß, in dem ein Patient die Ratschläge und Anweisungen des medizinischen Fachpersonals befolgt. Dies kann die Einnahme von Medikamenten, die Einhaltung von Diäten oder das Befolgen bestimmter Therapiepläne betreffen. Eine gute Compliance gilt als entscheidend für den Erfolg vieler Behandlungen und wird vom medizinischen Fachpersonal entsprechend hoch bewertet. Allerdings verweist das Verständnis von Compliance als reines Befolgungsverhalten auf eine einseitige Machtstruktur in der Arzt-Patient-Beziehung: Die Experten-, Regelungs- und Sanktionsmacht liegt beim Behandler, während der Patient hauptsächlich als Ausführender erscheint.
Ein zu starker Fokus auf Compliance kann dazu führen, dass individuelle Bedürfnisse und Präferenzen des Patienten nicht ausreichend berücksichtigt werden. Es entsteht mitunter ein Gefühl von Entmündigung oder ein Zwang zu unkritischem Gehorsam. Dieser Paternalismus kann das Vertrauen in den Behandler untergraben, die Behandlung beeinträchtigen und ein Grund dafür sein, dass sich Patienten – gerade im Kontext von Cannabismedizin – gegen eine ärztliche Behandlung entscheiden und stattdessen alternative Wege wählen.
INDICA greift dieses Spannungsfeld bewusst auf, um ein differenziertes Bild vom Verhältnis zwischen medizinischer Anleitung und persönlicher Entscheidungsfreiheit zu entwickeln. Die Erfahrungsberichte und Rückmeldungen von Patienten zeigen, dass sich viele eine kooperative, informierte und gleichwertige Kommunikation mit Ärzten wünschen – nicht nur passive Befolgung. Gleichzeitig wird deutlich, dass sogenannte „Abweichungen“ von ärztlichen Vorgaben – etwa abweichende Dosierungen, Sortenwahl oder selbstorganisierte Behandlungspausen – nicht zwangsläufig Ausdruck von mangelnder Compliance, sondern von Selbstverantwortung und aktiver Gesundheitssteuerung sind.
INDICA möchte daher dazu beitragen, die Bewertung von Patientenverhalten im Kontext von Cannabismedizin neuer zu denken – jenseits von binären Kategorien wie „regelkonform“ oder „abweichend“. Ziel ist es, Verständnis für individuelle Anpassung zu fördern und Spielräume für gemeinsame Entscheidungsprozesse zu eröffnen, ohne die Bedeutung medizinischer Begleitung aus den Augen zu verlieren.
Patientenautonomie

Als Gegenentwurf zur paternalistisch geprägten Arzt-Patienten-Beziehung betonen sowohl medizinrechtliche als auch ethische Ansätze die Autonomie des Patienten – also das individuelle Recht auf Selbstbestimmung über OB und WIE einer ärztlichen Behandlung. Dieses Recht ist Ausdruck der menschlichen Würde und findet rechtliche Verankerung im Grundgesetz, insbesondere in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, das nicht nur die körperliche Unversehrtheit, sondern auch die leibliche und seelische Integrität schützt.
Für eine wirksame Zustimmung zu medizinischen Maßnahmen sind zwei Voraussetzungen zentral:
Patientenautonomie bedeutet damit, sich selbstbestimmt mit möglichen Therapieoptionen auseinanderzusetzen, Risiken abzuwägen und Entscheidungen im Einklang mit eigenen Werten, Zielen und Lebensumständen zu treffen. Gerade im Umgang mit Cannabismedizin wird die Autonomie oft zu einem praktischen Entscheidungsfaktor: Patienten treffen selbstinitiierte Entscheidungen, holen sich punktuell ärztlichen Rat oder wünschen gezielt eine ärztliche Verordnung, um Verantwortung mit Fachkompetenz zu verbinden. Zunehmend zeigt sich, dass viele Patienten über tiefgehende Eigenkenntnisse und Erfahrungswerte verfügen, die ihre Autonomie im Behandlungsprozess weiter stärken. Gerade im Bereich der Cannabismedizin kennen sich Patienten oftmals besser mit den Wirkungen, Sorten, Dosierungen oder Abgabeformen aus als viele Ärzte – nicht aus Überheblichkeit, sondern aus alltäglicher Anwendungspraxis.
Einige Patienten haben einmalige Erfahrungen gesammelt, andere verfügen über eine routinierte Anwendungskompetenz und müssen sich regelmäßig engmaschig mit Ärzten abstimmen, weil sich im Markt eine Vielzahl an Produkten, Potenzen, Darreichungsformen und Qualitätsstufen befindet. In der Praxis geben viele Patienten daher selbst vor, welches Produkt sie verwenden möchten, in welcher Menge und in welcher Kombination mit anderen Mitteln oder Strategien. Diese Entwicklung bedeutet keinen Autoritätsverlust für Behandler, sondern verweist auf eine neue Form von kooperativer Expertise im Kontext des Shared Decision Making. Patienten bringen Präferenzen, Anwendungserfahrungen und differenziertes Erfahrungswissen ein, das für eine individualisierte Therapie wertvoll sein kann.
INDICA versteht diese Art von Patientenautonomie als Ressource – nicht nur für den Einzelnen, sondern für das gesamte System. Ziel ist es, diese spezifischen Erfahrungen zu dokumentieren, sichtbar zu machen und strukturiert nutzbar zu machen, sodass sich Patienten, Behandler und Wissenschaft gegenseitig von der gelebten Autonomie des Einzelnen inspirieren und informieren lassen können.
Shared Decision Making (SDM)

Das Konzept des „Shared Decision Making“ (SDM) – auf Deutsch: gemeinsame Entscheidungsfindung – steht für einen Wandel in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Anstatt medizinische Entscheidungen einseitig vorzugeben oder vollständig auf den Patienten abzuwälzen, geht es beim SDM darum, dass beide Seiten gemeinsam und gleichberechtigt am Entscheidungsprozess teilnehmen.
Der Ablauf eines SDM-Prozesses umfasst:
Das Recht auf Einbeziehung ist bereits seit 2002 in der europäischen Patientenrechtscharta festgeschrieben. In Deutschland wurde mit dem Patientenrechtegesetz von 2013 (Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten) ein verbindlicher Rahmen geschaffen, insbesondere durch die Aufklärungspflicht des Arztes. Auch wenn das Gesetz SDM nicht explizit vorschreibt, schafft es die Voraussetzungen dafür, dass Patienten nicht nur informiert, sondern auch aktiv beteiligt werden können. Gerade im Umgang mit Cannabismedizin gewinnt SDM an Bedeutung: Die Vielzahl an Produkten, Sorten, Dosierungsformen und individuellen Wirkungsprofilen macht standardisierte Therapiewege oft schwierig. Patienten bringen häufig umfangreiches Erfahrungswissen mit – zu Wirkungen, Sortenpräferenzen, bisherigen Therapieversuchen oder Lebensumständen – das in die Behandlung einbezogen werden sollte.
INDICA fördert diesen Prozess aktiv, indem Erfahrungen systematisch gesammelt, Wirkungsprofile beschrieben und Bedürfnisse sichtbar gemacht werden. So entsteht eine gemeinsame Wissensbasis, die dem Arzt vorgelegt und somit individuelle Therapieentscheidungen fundierter getroffen werden können. Ziel ist es, ein SDM-Modell zu stärken, das nicht nur formale Beteiligung erlaubt, sondern tatsächliche Mitsprache auf Augenhöhe ermöglicht – gestützt durch realitätsnahe Daten, reflektierte Selbsteinschätzungen und gegenseitiges Vertrauen zwischen Behandler und Patienten. INDICA versteht sich dabei als Vermittler zwischen individueller Erfahrung und klinischem Systemwissen.
Integrative Medizin

Integratives Heilwissen bezeichnet bei INDICA den bewussten Umgang mit medizinischen Traditionen, Erfahrungen und Methoden, die sich über Generationen hinweg entwickelt haben – im Zusammenspiel mit modernen, evidenzbasierten Verfahren. Es geht um eine Verbindung von überlieferten Praktiken mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, um individuelle Gesundheit in einem ganzheitlichen Verständnis zu fördern.
Überliefertes Heilwissen umfasst traditionelle Anwendungen, die innerhalb von Gemeinschaften weitergegeben wurden – häufig basierend auf lokalem Wissen über Heilpflanzen, körperbezogene Verfahren oder ganzheitliche Rituale zur Wiederherstellung von Gesundheit. Dieses Wissen bildet die kollektive Erfahrung im Umgang mit Krankheit, Heilung und Lebensbalance ab und gehört zum immateriellen Kulturerbe vieler Gesellschaften. Gleichzeitig begegnet man traditionellen Heilmethoden häufig mit kritischer Vorsicht – insbesondere, weil systematische Dokumentation, klinische Evidenz oder historische Quellenlagen oft lückenhaft sind. Es besteht die Sorge, dass ein unkritischer Rückgriff auf alte Praktiken das Vertrauen in die schulmedizinische Versorgung gefährden könnte.
Cannabis war über viele Jahrhunderte hinweg Teil des europäischen Heilpflanzenwissens – auch im deutschsprachigen Raum. In Apotheken, klösterlicher Medizin und häuslichen Anwendungen wurde Cannabis zur Linderung unterschiedlichster Beschwerden eingesetzt. Viele dieser Anwendungen sind heute in Vergessenheit geraten, bergen aber wertvolle Impulse für eine moderne, integrative Gesundheitsversorgung, die Erfahrungswissen nicht ausschließt, sondern wissenschaftlich prüfbar macht.
INDICA nähert sich diesem Themenfeld mit Respekt, wissenschaftlicher Neugier und kultureller Sensibilität. Der Begriff „Volksmedizin“ wird im Projektkontext nicht grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch bewusst eingeordnet: Wo er Verwendung findet, geschieht dies nicht im ideologisch aufgeladenen oder völkischen Sinne, sondern im Verständnis einer menschennahen, niederschwelligen Gesundheitskultur, wie sie in der integrativen Medizin zunehmend berücksichtigt wird. Stattdessen sprechen wir – kontextabhängig – auch von: überliefertem Heilwissen, pflanzenbasierter Erfahrungsmedizin und einem partizipativen Zugang zu therapeutischem Wissen. INDICA verfolgt das Ziel, kulturelle Vielfalt, biografisches Erfahrungswissen und pflanzen-medizinische Praktiken nicht nur zu dokumentieren, sondern auch über wissenschaftlich fundierte Methoden einzuordnen, zu kontextualisieren und für zukünftige Versorgungskonzepte nutzbar zu machen.
Erfahrungsmedizin

Der Begriff „Erfahrungsmedizin“ bezieht sich auf medizinische Praktiken und Behandlungen, die auf langjähriger Anwendung und empirischen Beobachtungen basieren – sowohl durch Patienten als auch durch Behandler. Da für viele dieser Anwendungen keine oder nur unzureichende klinische Studien vorliegen, gelingt es häufig nicht, die Wirksamkeit wissenschaftlich im schulmedizinischen Sinne zu belegen. Das stellt einen Nachteil gegenüber modernen, evidenzbasierten Methoden dar – bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die Praxiswirkung geringer ist.
Erfahrungsmedizin speist sich in der Regel aus individuellen Anwendungsfällen und den daraus gewonnenen Einsichten. Dadurch ist sie in besonderem Maße patientenzentriert: Sie orientiert sich an den konkreten Bedürfnissen, Lebensumständen und Alltagsrealitäten der Patienten und ermöglicht dadurch oft eine Form personalisierter Behandlung. Die Erfahrungsmedizin folgt meist einem ganzheitlichen Ansatz. Sie betrachtet den Menschen nicht nur in seiner körperlichen, sondern auch psychischen, sozialen und lebensweltlichen Dimension – und adressiert Krankheit und Leiden im Zusammenspiel dieser Ebenen.
Mit diesem erweiterten Verständnis wird die Erfahrungsmedizin zu einem zentralen Ziel des INDICA-Projekts. Zahlreiche Hinweise und individuelle Berichte zeigen, dass in der Bevölkerung langjährige, differenzierte Erfahrungen mit dem Einsatz von Cannabis zur Bewältigung von Beschwerden existieren – Erfahrungen, die weit über das hinausgehen, was bisher in Studien untersucht wurde. INDICA möchte mit digitalen Tools und strukturierten Erhebungen genau diese Erfahrungsmedizin sichtbar machen, dokumentieren und systematisch auswerten, um daraus mittelfristig medizinisch relevante Evidenz entwickeln zu können und neue Impulse für Versorgung, Forschung und gesellschaftlichen Diskurs zu liefern.
Evidenz

„Medizinische Evidenz“ bezeichnet wissenschaftlich fundierte Aussagen über die Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität medizinischer Behandlungen. Sie ist die Grundlage der evidenzbasierten Medizin (EbM), die es ermöglicht, klinische Entscheidungen nachvollziehbar und begründet zu treffen. Evidenz wird häufig in Hierarchien eingeteilt, um ihre Zuverlässigkeit besser bewerten zu können. Diese Hierarchie umfasst (von höchster bis geringster Aussagekraft):
Gerade Fallberichte – also Einzelbeobachtungen aus der Praxis – gelten in der evidenzbasierten Medizin zwar als weniger belastbar, sind jedoch oft ein wichtiger Ausgangspunkt für neue Forschungsfragen und therapeutische Hypothesen. Das INDICA-Projekt strebt gezielt an, solche Fallberichte und Erfahrungsdaten aus dem Bereich Cannabismedizin strukturiert in Modulen zu erfassen, auszuwerten und systematisch nutzbar zu machen. So soll ein Beitrag geleistet werden, um den Bereich zwischen individueller Erfahrung und wissenschaftlicher Evidenz zu überbrücken – und damit neue Erkenntnisse in die medizinische Praxis zu integrieren. Gleichzeitig können die Teilnehmer die Ergebnisse nutzen, um ihre Therapie zu unterstützen.
INDICA verfolgt zusätzlich hierzu einen erweiterten Evidenzbegriff, der nicht nur kontrollierte Studien berücksichtigt, sondern auch die Vielzahl an Erfahrungsberichten und praktischen Anwendungen, die über Jahre hinweg gesammelt und auch im Ergebnis veröffentlicht wurden – gerade im Bereich der Cannabismedizin. Diese Alltags- und Selbstbeobachtungsdaten bieten eine wertvolle Ergänzung zur akademischen Forschung, insbesondere in einem Feld, das sich durch hohe Individualität, breite Anwendungsbereiche und oft nicht standardisierte Bedingungen auszeichnet.
Die durch INDICA gesammelten Daten beruhen auf der tatsächlichen Anwendung von Cannabis im Alltag – dokumentiert von Menschen, die sich mit ihren Erfahrungen, Routinen und Herausforderungen aktiv einbringen. Diese Form von Evidenz ist:
INDICA arbeitet an einem digitalen Rahmen, der strukturierte Erhebungen, qualitative Erfahrungsberichte und interaktive Reflexionstools kombiniert. Die Offenheit des Ansatzes einer Plattform erlaubt es den Teilnehmern, sowohl quantitative Angaben (z. B. Wirkintensität, Dauer, Dosierung) als auch qualitative Einschätzungen (z. B. Stimmung, Zufriedenheit, Kontext) einzubringen. Die Nähe zur Anwendung besteht auf anonymisierten Daten, basierend auf echter Nutzung und Selbstwahrnehmung – nicht auf hypothetischen Fragen oder kontrollierten Laborsituationen. Die iterative Weiterentwicklung ermöglicht, dass Metriken, Kategorien und Bewertungsmodelle aus der Praxis heraus entstehen – und laufend anhand der Nutzerrückmeldungen überarbeitet, differenziert und validiert werden. Ein Beispiel: Begriffe wie „beruhigend“, „stabilisierend“ oder „klar im Kopf“ werden gemeinsam definiert und systematisch abgefragt werden, bevor sie als valide Vergleichswerte dienen.
Langfristig entsteht durch INDICA nicht nur eine Datensammlung, sondern eine Plattform für partizipative Wissensentwicklung – getragen von einer aktiven Gemeinschaft an cannabiserfahrenen Nutzern, Patienten, Behandlern, Experten und Forschern. Dieses Netzwerk trägt dazu bei, Erfahrungen nicht nur zu dokumentieren, sondern auch zu kontextualisieren, weiterzugeben und zu hinterfragen. INDICA ermöglicht so eine Form der Evidenzgenerierung, die von unten nach oben funktioniert: Die Praxis zeigt, was wirkt – die Plattform übersetzt es in Muster, Hypothesen und nutzbare Erkenntnisse. Auf diese Weise leistet INDICA einen wichtigen Beitrag dazu, dass Erfahrungsmedizin und Wissenschaft nicht im Widerspruch, sondern in ergänzender Zusammenarbeit stehen.
Qualitätsdimensionen & Cannabis

Die Qualität von Cannabis ist kein statisches Merkmal, sondern ergibt sich aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener pflanzlicher, sensorischer, kultureller und individueller Faktoren. Für eine fundierte Bewertung sind nicht nur Labordaten entscheidend, sondern auch subjektives Empfinden, Anwendungskontext und das Wissen über Herkunft und Verarbeitung. Die folgenden Dimensionen mit entsprechenden Indikatoren bieten eine strukturierte Annäherung an das Thema Qualität im Kontext von Ursprung, Zusammensetzung, Anwendungs- und Wirkungserfahrung.
Herkunft & Anbauumfeld: Der Ursprung der Pflanze – ob Indoor, Outdoor oder im Gewächshaus kultiviert – beeinflusst maßgeblich die vorhandenen Cannabinoide und das terpenoide Profil, die Reinheit, das Aussehen sowie die Haltbarkeit. Bodenbeschaffenheit, Lichtverhältnisse, Nährstoffversorgung und Luftzirkulation, aber auch Erntezeitpunkt, Trocknung und Weiterverarbeitung bestimmen die spätere Produktqualität entscheidend mit. Gleichzeitig besteht – je nach Herkunft – ein erhöhtes Risiko für Qualitätsmängel: In unregulierten Märkten können Streckmittel, Pestizidrückstände, Schimmelbelastung oder unsachgemäße Lagerung die Qualität erheblich beeinträchtigen. Auch im Eigenanbau kann es ohne entsprechende Fachkenntnisse zu Verunreinigungen oder inkonsistenten Wirkstoffprofilen kommen. Zudem ist entscheidend, dass das Endprodukt nicht nur von der Genetik, sondern stark vom jeweiligen Wachstumsumfeld beeinflusst wird. Selbst identische Sorten entwickeln sich unter unterschiedlichen Bedingungen unterschiedlich. Hinzu kommt, dass nach der Ernte biochemische Prozesse weiterwirken, die je nach Lagerung, Licht- und Sauerstoffeinfluss zur Veränderung des Wirkstoffprofils führen können.
Botanische Klassifikation: Sativa, Indica, Hybrid: Die Begriffe Sativa, Indica und Hybrid sind botanische Klassifikationen, die ursprünglich auf Unterschiede in Wuchsform, Blattstruktur und Blütezeit hinweisen. Diese Begriffe haben im allgemeinen Sprachgebrauch eine hohe Verbreitung und werden mit bestimmten Wirkungsprofilen („aktivierend“ vs. „beruhigend“) assoziiert. Wissenschaftlich gelten diese Kategorisierungen jedoch als unzureichend zur Beschreibung pharmakologischer Wirkung. Stattdessen rücken genetische Profile und chemo-taxonomische Analysen zunehmend in den Fokus. Entscheidend ist, welche Cannabinoide, Terpene und Begleitstoffe in welcher Konzentration vorhanden sind – nicht, ob eine Pflanze „indica“ ist. Trotzdem haben sich – je nach kulturellem Umgang, Wissensstand und Marktreife – weltweit unterschiedliche Präferenzmuster und Produktverfügbarkeiten herausgebildet. INDICA beobachtet, dass Nutzer in bestimmten Kontexten z. B. eher ausgewogene THC/CBD-Verhältnisse, bestimmte Terpenprofile oder bestimmte Konsumformen bevorzugen – unabhängig von der botanischen Etikettierung.
Kulturelle Unterschiede & Marktentwicklung: Die Wahrnehmung von Qualität wird stark geprägt durch kulturelles Wissen, soziale Normen und die Regulierung des Marktes. In formalisierten Märkten fließen geprüfte Qualitätsmerkmale wie Laboranalysen, Rückstandsprüfung, standardisierte Wirkstoffprofile oder Transparenz in Herkunft und Verarbeitung in die Bewertung mit ein.
In weniger regulierten Umfeldern oder auf dem illegalen Markt wird Qualität dagegen oft intuitiv eingeschätzt – nach Aussehen, Geruch, Preis oder subjektiver Wirkung. Auch soziale Zuschreibungen und Erwartungen aus dem Umfeld beeinflussen, was als „hochwertig“ gilt.
Sensorisches Empfinden & die Sprache der Sinne: Geruch, Geschmack, Haptik, Farbe und sogar der Klang beim Zerreiben werden von vielen als vermeintliche Qualitätsindikatoren wahrgenommen. Diese Sinneseindrücke können erste Hinweise auf Frische, Terpenprofil oder potenzielle Mängel geben – etwa bei muffigem Geruch durch Schimmel. Allerdings sind sie nicht objektiv, sondern hochgradig subjektiv und kontextabhängig. Ein intensiver Duft kann sowohl positiv als auch Hinweis auf Überlagerung sein, eine schöne Optik sagt nichts über Pestizidrückstände oder Wirkstoffgehalt. Das sensorische Profil kann daher Hinweise liefern, sollte aber immer im Zusammenspiel mit analytischen Daten und Anwendungskontext betrachtet werden.
Komposition der Wirkstoffe in ihrer Gesamtheit: Cannabis ist kein Monopräparat. Seine Wirkung ergibt sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Stoffe – insbesondere Cannabinoide (z. B. THC, CBD), Terpene, Flavonoide und andere sekundäre Pflanzenstoffe. Dieser sogenannte Entourage-Effekt bedeutet, dass die Wirkung mehr ist als die Summe einzelner Inhaltsstoffe. Wichtig ist dabei auch, welches Produktformat betrachtet wird: Bei Blüten liegt der Fokus meist auf der natürlichen Zusammensetzung von Cannabinoiden und Terpenen. Bei Vape-Produkten kommen Aspekte wie Trägersubstanzen, Erhitzungsverhalten und mögliche Rückstände hinzu. Bei Edibles (essbaren Produkten) rücken Fragen wie Bioverfügbarkeit, Wirkungseintritt und Dosiergenauigkeit in den Vordergrund. Die Qualitätsbewertung hängt also auch vom Produkttyp ab – was für ein Edible sinnvoll ist, muss für eine Blüte nicht gelten und umgekehrt.
Individuelles Wirkungsempfinden: Cannabis wirkt individuell. Die Wahrnehmung der Wirkung hängt von vielen Faktoren ab: körperliche Verfassung, psychischer Zustand, Konsumhäufigkeit, Erwartung, Dosis, Setting und Substanzprofil beeinflussen maßgeblich, wie ein Produkt erlebt wird. Was für eine Person, die „gut verträglich“ ist, kann für eine andere unangenehm oder sogar belastend sein. Wirkqualität ist daher nicht nur messbar, sondern auch subjektiv geprägt – und benötigt Raum für persönliche Erfahrungswerte. Gleiches gilt für Wirkstofftoleranzen oder auch bestimmte Funktionswege, die für den einen zuverlässig funktionieren und für den anderen gar nicht. Es gilt wieder der individuelle Kontext der Verwendung und die gegebenen Bedingungen und Voraussetzungen.
Verfügbarkeit & Qualität von Informationen: Die Zugänglichkeit zu transparenten, geprüften Informationen über Herkunft, Herstellung, Inhaltsstoffe und Wirkung ist ein zentraler Faktor für Qualität. Wer fundiert entscheiden will, benötigt nachvollziehbare Daten – etwa Laboranalysen, Erklärungen zu Terpenprofilen oder Hinweise zur Anwendung. In unübersichtlichen oder informellen Märkten fehlt oft diese Transparenz – Konsumenten agieren dann nach Hörensagen oder auf Basis persönlicher Erfahrungen. INDICA setzt sich dafür ein, diese Informationslücken zu schließen, um Konsummündigkeit und Qualitätssicherheit zu fördern.
INDICA versteht Qualität nicht als festes Label, sondern als dynamisches Zusammenspiel zwischen Produkt, Person und Kontext. Ziel ist es, diese vielschichtigen Dimensionen durch systematische Erhebung von Erfahrungswissen, quantitative Analysen und qualitative Einordnungen besser wissenschaftlich zugänglich zu machen. Das Projekt möchte nicht nur bestehende Qualitätskriterien abbilden, sondern auch herausfinden, welche Aspekte für unterschiedliche Nutzergruppen tatsächlich relevant sind – und wie sich diese Wahrnehmungen kulturell, regional oder biografisch unterscheiden. Durch diesen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz leistet INDICA einen Beitrag zur Weiterentwicklung einer datenbasierten, partizipativen Qualitätsdebatte rund um Cannabis als Medizin und Konsumprodukt.
Schwarzmarkt

Die pauschale Rede vom „Schwarzmarkt“ greift zu kurz, wenn es darum geht, die reale Versorgungslage mit Cannabis in Deutschland zu verstehen. INDICA plädiert für einen differenzierten Blick auf das Handlungsfeld jenseits staatlich regulierter Bezugswege – und auf die Praktiken, die sich dort etabliert haben. INDICA empfindet diesen Begriff als unterkomplex beschrieben angesichts der Tatsache, dass die Versorgungsrealität vieler Menschen sich individuell unterscheidet.
Illegalisiertes Verhalten im Alltag: Auch nach Inkrafttreten des neuen Cannabisgesetzes bleibt eine Reihe von Handlungen klar straf- oder bußgeldbewehrt – die Tatbestände sind z. B. eindeutig geregelt: Weitergabe von Cannabis an andere Personen, etwa im Freundeskreis („Sharing“), Anbau von mehr als drei Pflanzen im privaten Rahmen, Besitz über den erlaubten Mengen hinaus oder Konsum in Schutzbereichen (z. B. in der Nähe von Schulen). Solche Verhaltensweisen bewegen sich nicht in einer Grauzone, sondern sind klar illegalisiert und gelten juristisch als Verstöße gegen geltendes Recht.
Informelle und kriminelle Bezugsformen: Neben diesen klaren Tatbeständen gibt es weiterhin ein breites Spektrum informeller und illegaler Vertriebsformen:
Strategische Inverkehrbringer im rechtlichen Graubereich: Zunehmend treten auch Akteure auf, die Produkte gezielt in den Verkehr bringen, ohne dass deren Legalität eindeutig geklärt ist. Sie nutzen dabei Regelungslücken, etwa bei nicht ausdrücklich verbotenen Inhaltsstoffen, Schutzbehauptungen, wie die Angabe „unter 0,3 % THC“, obwohl das Produkt – etwa ein Edible – nicht verkehrsfähig im Sinne des BtMG oder anderer Gesetze ist als auch semantische Umdeutungen, bei denen nicht psychoaktive Nutzhanfprodukte durch Formulierung oder Verpackung faktisch wie Rauschmittel angeboten werden. Diese Praxis ist nicht zwangsläufig kriminell, bewegt sich aber in einem rechtlich hochgradig fragilen Bereich, der oft auf spätere Intervention durch Behörden hinausläuft.
INDICA interessiert sich nicht nur für legale oder illegale Kategorien, sondern für das tatsächliche Verhalten von Konsumenten und Anbietern im Spannungsfeld zwischen Alltag, Eigenverantwortung und Regulierung. Eine differenzierte Erhebung, Analyse und Sichtbarmachung dieser Dynamiken sind zentrale Voraussetzungen, um zukünftige Regulierungsformen realitätsnah, wirksam und gerecht zu gestalten.